Begrüßungsrede von Dr. Simone Schelberg auf der "ProKreativität“
An der Fachhochschule Koblenz hat am 26. September 2018 die erste Kreativitätsmesse „ProKreativität“ stattgefunden. Schirmherrin und ZIRP-Vorstandsmitglied Dr. Simone Schelberg, Landessenderdirektorin des SWR, hat die Messe mit einer Rede eröffnet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
mit Ihrem heutigen Kongress haben Sie – für Rheinland-Pfalz erstmals – der Kreativität einen wissenschaftlichen Rahmen gegeben und damit doch ganz praktische Fragen verknüpft:
Wie kommt das Neue in die Welt und wie trägt Kreativität dazu bei – oder ist gar die Voraussetzung dafür? Welche Bedeutung hat Kreativität für die Arbeit der Zukunft? Was bedeutet Kreativität für jeden einzelnen an frei gesetzten schöpferischen Kräften?
Sehr gerne habe ich die Schirmherrschaft zu diesem Kongress übernommen. Denn:
Diese Fragen passen zur Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz, in deren Vorstand ich mitwirke und deren Mitglied unser Gastgeber ist. In der ZIRP geht es um Innovation in Wirtschaft und Arbeit, um Kompetenzen der Zukunft und um schöpferische Prozesse in der Kunst.
Die Bedeutung von Kreativität, von der Schaffung des Neuen, ist zugleich für mich eine tägliche professionelle Herausforderung. Denn auch wenn ein Landessender eine Unternehmung und auch Verwaltung im klassischen Sinne ist, juristisch gar eine Anstalt des öffentlichen Rechts, steht er nach außen doch für ein kreatives Produkt: Unsere Hörer, Zuschauer, Leser, Follower erwarten das Neue in hoher Frequenz. Und wo sie sich nach dem Vertrauten sehnen, erwarten sie eine kreative Verpackung.
Meine Damen und Herren,
von den vier „K“ ist die Rede, wenn es um die Kompetenzen der Zukunft geht:
- Kollaboration
- Kommunikation
- Kritisches Denken
- und: Kreativität.
Wir können heute nicht mit Gewissheit sagen, wie die Arbeit der Zukunft aussieht und welche Berufe und Tätigkeiten der Arbeitsmarkt abrufen wird. Einigkeit besteht jedoch in Wissenschaft und Wirtschaft angesichts der technologischen, digitalen Entwicklung:
Expertise bleibt eine wichtige Voraussetzung. Ihre Anwendung verändert sich. Vor allem verändert sich die Kombination und das Zusammenwirken unterschiedlicher Disziplinen und die Zusammenarbeit im Unternehmen und mit anderen. Die Digitalisierung steht für Öffnung, für Plattformarbeiten, für das Ende der Silos.
Setzen wir die sehr bedeutsame Frage der Datensicherheit vor die Klammer, dann steht darin, in Neudeutsch: open access, open science, open innovation, open data.
Ganz weite Türen für den globalen Informations- und Datenfluss und die globale Nutzung.
Viele Tätigkeiten der Zukunft beruhen dann auf der klugen, kreativen Analyse und Anwendung von Daten.
Denn wir dürfen in der Debatte über künstliche Intelligenz, lernende Systeme, erweiterte oder künstliche Realität nicht verdrängen: Entscheidungsfähigkeit und Urteilskraft, Intuition und den bewussten Willen zum Schöpferischen hat nur der Mensch.
Ein neuronales Netzwerk kann aus ihm gespeisten 300 Bach-Chorälen den 301. komponieren. Eine von einem Algorithmus geschriebene Kurzgeschichte war in Japan in die nähere Auswahl für einen Science-Fiction-Literaturpreis gekommen.
Aber: Keines dieser Systeme hat den inneren Antrieb, schöpferisch tätig zu sein. Sie sind intelligent, aber nicht intuitiv. Sie können, aber sie wollen nicht. Zumindest nicht aus innerem Antrieb. Sie finden, aber sie erfinden nicht.
Meine Damen und Herren,
der schöpferische Prozess im digitalen Zeitalter muss menschlich gestaltet sein. Die Möglichkeiten und die Limitationen neuer Technologien liegen in unserer Hand, wenn wir keine digitalen Zauberlehrlinge wollen.
Die Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz steht seit vielen Jahren für die Chancen der Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft. Hier diskutieren Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur landesweit über die Potenziale der Digitalisierung und über die daraus resultierenden Anforderungen an das Bildungssystem und die Weiterbildung.
„Disruptiv“ lautet das Buzz-Word der Stunde: in Brüchen denken. Organisationen und Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihr Geschäftsmodell der Zukunft zu definieren und sich ein Stück weit selbst neu zu erfinden. Kreativität und die Arbeit der Zukunft gehören zusammen – denn beide sind zutiefst sozial.
Aus meiner professionellen Sicht stelle ich mir natürlich – gemeinsam mit vielen klugen Menschen im SWR die Frage, wie ein Medium – oder in der Mehrzahl: wie die Medien, über die wir kommunizieren – kreativ sein und bleiben können, Kreativität auslösen und beflügeln können.
Sich selbst neu erfinden… das ist auch für ein Medienunternehmen wie den SWR eine Herausforderung, mit der wir seit den Einflüssen der schnell wachsenden Digitalisierung im Grunde täglich umgehen müssen: Es liegt auf der Hand, dass wir da, wo wir früher Fernsehen, Hörfunk oder Online versäult nebeneinander, allenfalls nachbarschaftlich organisiert haben, heute eine kreative Antwort geben müssen.
Dass im Landtag das Kamerateam mit seinem Redakteur neben dem Hörfunkreporter platziert ist und der Onliner mit Kamera und Smartphone aus der anderen Ecke ein schnelles Bild schießt, dass wir also in linearen Strukturen denken und arbeiten, ist längst undenkbar. Wir planen und setzen Inhalte längst multimedial aus einer Hand, aus dem Newsroom um. Ein Team versorgt alle Medien mit Material zu einem Thema – und alle Themen sind wiederum dem ganzen Haus zugänglich und standortübergreifend vernetzt, so dass jeder Journalist zu jeder Zeit an jedem Ort mit dem Material – dem Film, dem Ton, dem Foto – arbeiten kann. Ziel ist die sofortige Versorgung per App, per Social Media mit den aktuellsten Informationen. Wir warten nicht mehr bis zu den 20.00 Uhr-Nachrichten, wir warten nicht mehr bis zur vollen Stunde, wenn im Radio die Nachrichten laufen. Die Nachricht ist immer und überall da, wo ich, wo Sie gerade sind, zeit- und ortsunabhängig.
Dass sich also die Berufsbilder täglich nicht zuletzt durch die neuen Planungssysteme verändern, oder durch die Smartphone-Technik, die uns erlaubt, von vor Ort: dem Unfall, dem Landtag, dem aktuellen Set, live zu senden – in allen Medien, und uns damit zwingen, kreativ in den Arbeitsalltag einzugreifen, ist längst Realität. Während wir früher noch gegen den multimedialen Alleskönner gewettert haben, um zu vermeiden, dass Geschwindigkeit Qualität verdirbt, sind wir heute genau damit konfrontiert.
Und unsere Aufgabe ist es eben gerade, kreative Wege zu finden, die uns der Versuchung entreißen, oberflächlich zu werden, indem wir falschverstandene Multimedialität produzieren: Geschwindigkeit ist gerade kein Wert an sich! Es gilt mehr denn je, sich deutlich abzugrenzen von schlecht gemachtem Journalismus, es gilt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr denn je, sich durch ausgeruhte, ausgewogene, vielfältige und sorgfältige Berichterstattung zu legitimieren. Natürlich bleibt auch schnelle Information notwendig, um im Wettbewerb zu bestehen, aber nicht um jeden Preis: Eine Abwägung, die Kreativität erfordert, ohne unsere Werte preis zu geben, gleichzeitig aber modern und mitten in der Gesellschaft zu bleiben, um nicht als von der AfD gefordertes Heimatfernsehen zu versanden.
Meine Damen und Herren,
der heutige Tag hat gezeigt, dass Kreativität in ihrer Bedeutung unterschätzt wird und uns stärker bewusst sein sollte: Wir brauchen Kreativität, um das Neue in die Welt zu bringen. Nicht nur Technologie, Versuch und Irrtum, Erkenntnis und Reflexion.
Man könnte programmatisch fordern: Wir müssen mehr Kreativität wagen. Es ist keine triviale Frage, die Sie aufwerfen, nämlich: Wie können kreative Fähigkeiten vermittelt werden und wie kann Kreativität Teil eines Bildungssystems und eines Bildungsauftrags sein.
Ich danke Ihnen dafür, dass sie diesen Kongress so wertvoll gemacht haben und wünsche Ihnen für all Ihre weiteren Projekte viel Erfolg und – genau! – stets die nötige Kreativität.