Anerkannt als gutes Beispiel: Worms
Interview
Nibelungen, Jüdisches Worms, Luther, Dom, Wein – in Worms ist Kultur zuhause. Lesen Sie im Interview mit Verantwortlichen aus Kultur, Stadtverwaltung und Tourismus wie Kultur und Tourismus in Worms zusammenarbeiten.
Im Zuge der Recherchen und Expertengespräche zu unserer neuen Ausgabe des ZIRPkompakt zeichnete sich die Stadt als gutes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus ab. Wir haben im Wormser Rathaus mit Volker Gallé, Kulturkoordinator der Stadt Worms, Sascha Kaiser, Geschäftsführer der Kultur und Veranstaltungs GmbH sowie der Nibelungenfestspiele gGmbH, Bernd Leitner und Sandra Kirchner-Spies, Leitung der Tourist Information Worms, standen uns Rede und Antwort. Es zeigte sich: Oberste Priorität hat in Worms der regelmäßige Austausch aller handelnden Akteure.
Tourismus und Kultur sprechen nicht oder zu wenig miteinander, das ist eines der Ergebnisse unserer Studie. Dass wir uns in dieser Runde treffen, lässt bereits vermuten, dass das hier anders ist. Was zeichnet Austausch und Zusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus in Worms aus?
Gallé: Der Wendepunkt kam in den 1990er Jahren und durch die Fokussierung auf die Kulturprofile (Nibelungen, Jüdisches Worms, Luther, Dom, Wein). Im industriellen Bereich wurden Arbeitsplätze abgebaut, im Dienstleistungssektor haben wir keinen überregionalen Anbieter und auch keine Landesverwaltungen. Aber was wir sein können, ist eine Wohngemeinde für die umliegenden Regionen. Wir können kulturelle Angebote schaffen, immer in Verbindung mit dem Tourismus gedacht. Um die Kommunikation zu verbessern, haben wir vor einigen Jahren den Arbeitskreis KUSETI (Kultur, Stadtentwicklung und Tourismus) ins Leben gerufen. Dort kommen alle acht Wochen neben Verantwortlichen aus den Bereichen Kultur, Stadt und Tourismus auch Vertreter von Presse, Sport und Freizeiteinrichtungen zusammen. Der Vorteil des Arbeitskreises liegt darin, dass hier Interessen gebündelt werden können.
Kirchner-Spies: Die Zusammenarbeit in Worms funktioniert deshalb gut, weil jeder angesprochen werden kann, unabhängig davon, um welchen Ansprechpartner und Aufgabenbereich es sich im Einzelfall handelt. Wir wissen, was wir für die Stadt Worms wollen und ziehen an einem Strang. Wir fühlen uns verantwortlich und kennen uns gut. Die KUSETI-Runde ist wichtig, weil sie den Informationsaustausch fördert und erleichtert.
Kaiser: Wir stehen mit den Nibelungen Festspielen jedes Jahr vor großen Herausforderungen. Wer vor solchen Herausforderungen steht, arbeitet anders und versucht so viele Partner wie möglich mit ins Boot zu holen. Wir mussten schon immer Brücken schlagen, um erfolgreich zu sein.
Wann steigt der Tourismus in die Erarbeitung neuer Konzepte und kultureller Angebote ein? Wann beginnt die gemeinsame Planung?
Leitner: Es gibt kein vorgefertigtes Prozedere, wer wann in die Planung einsteigt. Wichtig ist nur, dass alle rechtzeitig informiert werden.
Gallé: Natürlich werden in den ersten Planungen auch mal Kooperationspartner vergessen. Aber sie können einhaken, weil man sich kennt und sich keiner auf die Füße getreten fühlt.
Ist das Gelingen der Zusammenarbeit personenabhängig?
Kaiser: Man kann das beste Strategiepapier haben, aber letztendlich entscheiden die handelnden Personen, ob es funktioniert. Auch wenn wir hier unterschiedliche Meinungen haben, ziehen wir alle an einem Strang. Am runden Tisch muss zwar alles besprochen werden, aber letztendlich muss man fähig sein, Dinge selbst zu machen und in die Hand zu nehmen. Unverzichtbare Basis dafür ist, dass wir alle großen Handlungsspielraum seitens der politischen Träger genießen.
Gallé: Unglaublich viel der Arbeit geschieht im Hintergrund: Organisation, Querschnittsarbeit in der Verwaltung, Kommunikation – all das muss hauptamtlich und kompetent durchgeführt werden. Es hängt also viel an den handelnden Personen, aber auch historisch gewachsene Strukturen und Befindlichkeiten erschweren bisweilen die Zusammenarbeit von Kultur und Tourismus. Um lösungsorientiert arbeiten zu können, müssen auch politische Strukturen geöffnet werden.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit Partnern jenseits der Stadtgrenzen aus?
Gallé: Im Kulturbereich der Stadt Worms arbeiten wir auf unterschiedliche Weise mit der Rheinhessen Touristik und der Rheinland-Pfalz-Tourismus GmbH (RPT) zusammen, natürlich nicht so intensiv wie die Tourist Information. Beispielsweise haben wir im Rahmen des Jubiläums 200 Jahre Rheinhessen eng mit der Rheinhessen Touristik zusammengearbeitet. Und so hat es sich ergeben, dass sie als erste Regionalagentur die Themen Kultur und Kulinarik in ihre eigene Strategie aufgenommen hat. Rheinland-Pfalz ist eben nicht nur ein Land der Reben und Rüben, sondern auch ein Land der Geschichte und der Geschichten, der Burgen und Schlösser, der Städte und des ländlichen Raums. Neben Radfahren und Wandern sind auch kulturelle Angebote für die Touristen wichtig.
Wo sehen Sie hinsichtlich der touristischen Vermarktung in Rheinland-Pfalz noch ungenutzte oder zu wenig genutzte Potenziale?
Kaiser: Gerade im nationalen und internationalen Markt sollte mit dem Urbanen und der Kultur gepunktet werden. Nehmen wir Trier als älteste Stadt, Worms mit dem ältesten jüdischen Friedhof – das sind Themen, mit denen wir in Rheinland-Pfalz Alleinstellungsmerkmale haben.
Gallé: Unbedingt. Die überregional relevanten Potenziale an historischen Bauten und Narrativen müssen entsprechend über kulturelle Angebote vermarktet werden. Touristen brauchen die Infrastruktur, das Storytelling, die Führungen und Veranstaltungsangebote und da sehe ich in Rheinland-Pfalz großes Potenzial.
Leitner: Kultur sollte auch beim rheinland-pfälzischen Auftritt auf der Internationalen Tourismusmesse in Berlin (ITB) stärker präsent sein. Einen ersten großen Anlauf mit einer besonders öffentlichkeitswirksamen Kulturpräsenz haben wir 2016 in Kooperation mit den Nibelungenfestspielen gemacht und planen für die nächsten Jahre weitere Aktionen, die ein signifikantes Medien- und Kulturbesucherinteresse hervorrufen.
Zum Schluss möchten wir gern von Ihnen wissen: Was raten Sie Kolleginnen und Kollegen aus Kultur und Tourismus, die auf den jeweils anderen zugehen wollen?
Gallé: Wo kein Austausch stattfindet, können sich kleine Anbieter aus dem Kulturbereich nicht einbringen. Umgekehrt muss die Kultur darüber nachdenken, welche Zielgruppen touristisch interessant sind, was diese Zielgruppen wollen und wie sie durch entsprechende Angebote und Marketingmaßnahmen erreicht werden können. Natürlich lässt sich nicht die gesamte Kultur touristisch vermarkten. Als Kulturschaffender ist es daher meine Aufgabe, die Teile meines Angebots hervorzuheben, die touristisch relevant sind. Bestehende Strukturen lassen sich am besten über gemeinsame Projekte aufbrechen. Bevor Strategien konzipiert werden, sollten zuerst beispielhafte Projekte ins Leben gerufen werden, an denen beide Seiten beteiligt sind. In einem Land wie Rheinland-Pfalz mit einem so enormen kulturellen Potenzial muss der Tourismus sich der Kultur öffnen, müssen beide aufeinander zugehen. Das wird in der Folge nicht nur für einzelne Städte, sondern für das gesamte Land positive Auswirkungen haben.
Leitner: Man kann eine Kooperation zwischen Kultur und Tourismus nicht binnen zwei Jahren auf die Beine stellen. Das ist ein Prozess, der Jahre dauert. Man muss sich auf einen langen Weg einstellen, der von Interessensvermittlung und Kompromissbereitschaft geprägt ist. Aber wenn man das gemeinsame Ziel vor Augen hat, wird das Projekt auch gelingen und für beide Seiten sinnvoll sein. Das spiegelt sich dann in der täglichen Zusammenarbeit wider.
Kaiser: Eine bewusste Auseinandersetzung mit bestehenden Strukturen ist wichtig. Strukturen müssen sinnvoll zusammengefügt werden. Wenn das nicht machbar ist, muss man sich überlegen, wie darüber hinaus Arbeitskreise oder ähnliches gebildet werden können. Es müssen Verbindlichkeiten geschaffen werden, Entscheider gemeinsam an einem Tisch sitzen und es braucht motivierte Menschen, die sich mit den Projekten identifizieren und für sie brennen. Letzteres kann nicht künstlich erschaffen werden. Hat man diese Gruppe zusammen, kann ein Projekt konzipiert werden. Dabei sollte man sich immer fragen, wen man noch mit ins Boot holen kann.
Kirchner-Spies: Es braucht auch den Blick von außen. Sie sollten andere mitreden lassen. Damit meine ich Städte, Regionen und auch andere Institutionen. Jeder nimmt Dinge anders wahr. Das Feedback anderer kann für eigene Projekte nur von Vorteil sein.
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